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Bergemann

 

 



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Rüstringen
Wilhelmshaven

Die Geschichte der Stadt Rüstringen

Stadtwappen von Rüstringen (1911 - 1937)

Das Wappen der Stadt Rüstringen (1911 - 1937)

Die Anfänge

Mit der Gründung des preußischen Marineetablissements Wilhelmshavens war eine preußische Enklave im Großherzogtum Oldenburg entstanden. Sie war vom Jadebusen und von den Oldenburger Landgemeinden umschlossen, in denen sich der überwiegende Teil der Arbeiterschaft niederließ, die später auf Kaiserlichen Werft ihrer Arbeit nachgingen.

Diese Landgemeinden waren Heppens, Neuende und Bant. Die Gründung von Bant wurde per Gesetz vom 13. März 1879 verfügt. Sie entstand aus der ehemaligen Arbeiterkolonie Belfort, die zuvor zur Gemeinde Neuende gehörte. Bereits am 13. Juli 1878 erreichte die Gemeinde Neuende, daß die Kolonie Belfort mit seinen benachbarten Siedlungen Sedan und Neubremen einen eigenen Verwaltungsbezirk innerhalb der Gemeinde bildete. Die ehemals rein bäuerlich geprägte Gemeinde glaubte, mit ihrem nur auf die ländlichen Verhältnisse zugeschnittenen Verwaltungsapparat, die innerhalb kürzester Zeit entstandene und immer noch weiter wachsende "Arbeiterstadt" nicht adäquat verwalten zu können. Insbesondere wurde befürchtet, daß die abgelegene Administration nicht in der Lage sei, die Polizei in den Arbeitersiedlungen in angemessener Weise handhaben zu können. Ebenso fühlten sie sich nicht imstande, die Mittel für die Neueinrichtung von Schulen und die Vergrößerung des Kirchhofes aufbringen zu können und die Armenlasten der zumeist mittellosen Neubürger zu tragen. Die Aufrichtung eines eigenen Verwaltungsbezirkes innerhalb der Gemeinde war der erste Schritt zur Abspaltung der durch die Industriearbeiterschaft geprägten Siedlungen von der Gemeinde.

Diese Regelung war nötig geworden, da der Ausbau des "Marine- Etablissements" im benachbarten Wilhelmshaven Arbeitskräfte aus allen Teilen Deutschlands an die Jade zog. Namentlich die Ostseeprovinzen, die in den vorhergegangenen Jahren durch den Niedergang des Holzschiffbaus und durch mehrere Überschwemmungen erhebliche Einbußen an Arbeitsplätzen und erträglichen Lebensbedingungen erfahren mußten, stellten große Teile der auf der Kaiserlichen Werft benötigten Arbeitskräfte. Durch diesen Zuzug kam es zu einer Bevölkerungsexplosion in den Wilhelmshaven umschließenden Gemeinden Heppens und Neuende. In der Arbeiterkolonie Belfort stieg die Bevölkerungszahl allein im Jahre 1877 von 708 auf 3433. Die beiden ehemaligen Kirchspiele Heppens und Neuende, die im Jahre 1852 zusammen wenig mehr als 1.500 Einwohner verbuchten, hatten nun, ein Vierteljahrhundert später, mit der preußischen Stadt Wilhelmshaven zusammen über 21.000 Einwohner. Damit hatte sich die Einwohnerzahl auf dem ursprünglichen Gebiet der Kirchspiele Heppens und Neuende innerhalb von weniger als 30 Jahren beinahe um das Vierzehnfache gesteigert und ihre Zahl sollte sich noch erheblich erhöhen.

Bevölkerungsexplosion

Die drei Landgemeinden Heppens, Neuende und Bant zählten nach der Volkserhebung des Jahres 1900 zusammen fast 27.800 Einwohner.

Statistische Angaben zur Bevölkerungsentwicklung:

Datum der Volkszählung Heppens Neuende Bant Gesamt
3. Dezember 1852 263 1262   1525
3. Dezember 1855 299 1330   1629
3. Dezember 1858 576 1400   1976
3. Dezember 1861 941 1463   2404
1. Dezember 1864 1180 1664   2844
1. Dezember 1871 1474 2053   3527
1. Dezember 1875 1683 2932   4615
1. Dezember 1880 1879 2062 4665 8606
1. Dezember 1885 2374 2244 6303 10921
1. Dezember 1890 4128 2646 8296 15070
1. Dezember 1895 5928 2975 11377 20280
1. Dezember 1900 7825 3841 16126 27792
1. Dezember 1905 12667 6278 22367 41312
1. Dezember 1910 15324 7454 24814 47592

Das "Amt Rüstringen"

Allmählich reifte auch bei der oldenburgischen Staatsregierung die Erkenntnis, daß der immensen Bevölkerungszunahme in den drei Gemeinden eine angemessene Regelung der kommunalen Angelegenheiten folgen müsse. Auch hatten sich die als Landgemeinden verfaßten kommunalen Verbände Heppens, Neuende und Bant "bereits in hohem Maße aus der wirtschaftlichen und sozialen Bindung an das ländlich gebliebene Jeverland gelöst".

Vor allem in Fragen der Rechtspflege sollte den Gemeinden durch Herauslösen aus dem Amtsverband Jever Erleichterungen verschafft werden. Das in Jever ansässige zuständige Amtsgericht war durch die immense Bevölkerungszunahme in den drei Gemeinden und dem damit verbundenen gestiegenen Arbeitsvolumen stark überlastet. Doch verhinderte die Furcht vor der Sozialdemokratie und deren "umstürzlerische" Gedanken das eindeutige Bekenntnis der Staatsregierung für einen selbständigen Amtsverband Rüstringen, denn man befürchtete die Wahl eines Sozialdemokraten zum Vorsitzenden im Amtsrat.

Am 16. Oktober 1899 kam es "aufgrund der Initiative von Gemeindeeinwohnern und Bürgervereinen" zu einer Gesetzesvorlage, die die Einsetzung eines Hilfsbeamten des Amtshauptmanns in einem zu gründenden Amt Rüstringen vorsah, der die Amtsgeschäfte der drei Gemeinden in selbständiger Regie wahrnehmen sollte. Der Verwaltungsausschuß des Landtags stimmte unter Hinweis auf die Notwendigkeit der Zusammenlegung der drei Gemeinden mit Wilhelmshaven zu und der Landtag ließ die Gesetzesvorlage in zweiter Lesung am 12. März 1900 passieren. Der Thronwechsel von Großherzog Nikolaus Friedrich Peter  auf seinen Sohn Friedrich August (* 1852 † 1931), am 13. Juni 1900, brachte eine erneute Wende. Friedrich Willich löste Günther Jansen als leitenden Minister ab und die neue Regierung verzichtete auf den gesetzlich vorgeschriebenen Vorsitz des Amtshauptmanns im Amtsrat. So kam es am 18. Januar 1902 zum "Gesetz für das Herzogthum Oldenburg, betreffend die Bildung eines Amts- und Amtsgerichts- Bezirks Rüstringen". Es trat am 1. November des selben Jahres in Kraft.

Im Januar 1902 wurde - wie von der Staatsregierung befürchtet - der führende Banter Sozialdemokrat Paul Hug zum Vorsitzenden des Amtsrates gewählt.

Paul Hug (1857 - 1934)

Paul Hug (1857 - 1934)
Oberbürgermeister von Rüstringen
von 1926 bis 1929

Diese Wahl hatte jedoch keinerlei Auswirkungen im Amt Rüstringen, denn der Amtsrat überließ "aus praktischen Gründen einstweilen dem Amtshauptmann den Vorsitz". Damit enthielt die oldenburgische Staatsregierung den drei Gemeinden weiter die wichtigen Polizeibefugnisse vor. "Diesen stand nach wie vor nur in der Person ihres Gemeindevorstehers die Ortspolizeigewalt zu, in die der Amtshauptmann als Vertreter der Landespolizeigewalt jederzeit eingreifen konnte."

Rüstringen wird Stadt

Zu den Bemühungen des Amtes Rüstringen, sich als Stadt zu konstituieren, nahm die oldenburgische Landesregierung eine ablehnende Haltung ein. Als Rest dieser Maximalforderung begründete sich die Gemeinde Heppens im Jahr 1907 zu einer Stadt zweiter Klasse.

Ende des Jahres 1910 wandten sich die drei Gemeinden erneut an den Landtag. Sie erbaten die Wiedervorlage der Regierungsvorlage vom September 1909. In der erneuten Eingabe der Staatsregierung an den Landtag nahm dieser das Gesetz in zweiter Lesung am 9. März 1911 an. Das Gesetz "betreffend die Vereinigung der Stadtgemeinde Heppens und der Landgemeinden Bant und Neuende zu einer Stadt Rüstringen" wurde noch am selben Tag erlassen und trat am 1. Mai 1911 in Kraft.

Wilhelmshavener Straße (um die Jahrhundertwende)

Rüstringen, Wilhelmshavener Straße
heute: Marktstraße

Die ersten Wahlen der Vertretung des Stadtgebietes und der engeren Stadt Rüstringen fanden bereits am 8. April 1911 statt. Für die Vertretung des Stadtgebietes waren 12 Mitglieder und 6 Ersatzmänner zu wählen. Für die Vertretung der engeren Stadt wurden 24 Mitglieder und sechs Ersatzmänner gewählt. Bei beiden hatten mindestens zwei Drittel der Mitglieder gemäß Art. 11 der revidierten Gemeindeordnung Grund- oder Hausbesitzer zu sein. Zwei Mitglieder der Vertretung des Stadtgebietes bildeten zusammen mit den 24 Stadtratsmitgliedern der engeren Stadt den Gesamtstadtrat. Paul Hug wurde dessen Vorsitzender.
Zum Bügermeister der neuen Stadt Rüstringen wählte der Gesamtstadtrat den bisherigen Bürgermeister von Heppens, Dr. Emil Lueken.

Als Ratsherren wurden gewählt:

Werftbeamter Reinhard Neumann aus Heppens
Buchdruckereibesitzer Paul Hug aus Bant
Lagerhalter Johann Ahlers aus Bant
Landwirt Wilhelm Müller aus Neuende

Am 21. April 1911 erfolgte die Bestätigung der Wahl Luekens zum Bürgermeister und des Assessors Runde, dem bisherigen Gemeindevorsteher von Bant, als Syndikus der Stadt Rüstringen.

Dr. Emil Lueken (1879 - 1961)

Emil Lueken (1879 - 1961)
1907 - 1911 Bürgermeister von Heppens
1911 - Okt. 1917 Bürgerneister von Rüstringen
Okt. 1917 - 1920 Oberbürgermeister von Rüstringen
1920 - 1933 Oberbürgermeister von Kiel

Damit waren die Bemühungen um die Errichtung einer Stadt abgeschlossen. Dennoch wurde das ursprünglich gesteckte Ziel der Gründung einer wirklich selbständigen Stadt erster Klasse nicht erreicht. Doch war dieser Kompromiß eine Basis, auf der sich spätere Verhandlungen hätten aufbauen können, die das eigentlich Gewollte umzusetzen ermöglicht hätten. Der wenige Jahre später einsetzende Erste Weltkrieg ließ Bemühungen in diese Richtung zunächst in den Hintergrund treten. Erst am 1. April 1919 wurde Rüstringen, nun unter gänzlich veränderter politischer Konstellation, zu einer Stadt erster Klasse.

Zwischen 1919 und 1933

Das Ende des Ersten Weltkrieges brachte erstmals deutlich die strukturelle Schwäche des Standortes der Städte Wilhelmshaven und Rüstringen zutage. Von Anfang an lediglich als Marinestandort begründet, stellte sich die Frage nach dem, wie es weitergehen sollte mit den Bedingungen, den die Entente Deutschland im Versailler Vertrag stellten. Für die Jadestädte bedeutet die Abrüstung der Streitkräfte die Basis zu verlieren, auf der ihre Existenz beruhte. Weder konnten Pläne verwirklicht werden, aus dem Hafen einen Handelshafen zu machen, da die nötige Infrastruktur fehlte, noch waren solche realisierbar, die in Richtung auf einen Kurort zielten. Auch die 1919 gegründete "Wilhelmshavener Hochseefischerei AG" gab nach drei Jahren auf. Der größte Arbeitgeber vor und während des Krieges blieb es auch danach. Die "Reichswerft" reagierte auf die ausbleibenden Schiffsbau- Aufträge mit Flexibilität. Man stellte Lokomotiven her und reparierte sie, baute Kochapparate, Bügeleisen und Heizplatten. Als Notprogramm wurden einige Fischkutter für die Hugo Stinnes AG sowie vier Fracht- und Passagierschiffe gebaut. Zwischen 1919 und 1924 blühte das Abwrackgeschäft, wobei auch Schiffe aus Großbritannien und Frankreich nach Wilhelmshaven kamen.

Zwischen 1933 und 1945

Erst in der Zeit des Nationalsozialismus mit dessen Flottenplänen erlebten Wilhelmshaven und Rüstringen eine zweite Blüte. Im Zuge von Gebietsbereinigungen durch das "Groß- Hamburg- Gesetz" wurde bestimmt, daß der Stadtkreis Wilhelmshaven von Preußen auf das Land Oldenburg übergehen sollte und mit dem Stadtkreis Rüstringen zusammengeschlossen werden sollten. Der zusammengelegte Stadtkreis führte mit Wirkung vom 1.4.1937 den Namen Wilhelmshaven. Damit ging eine seit dem Ende des Ersten Weltkrieges immer wieder aufflackernde Diskussion zu Ende, die die Sinnhaftigkeit in Frage stellte, faktisch aus einem Stadtgebiet bestehende Gemeinden durch unterschiedliche Verwaltungen mit verschiedenen Gesetzesgrundlagen administrieren zu lassen.
Bereits 1936 begann der Bau der IV. Hafeneinfahrt. Die Zahl der Beschäftigten auf der Werft stieg von 5.000 im Jahr 1933 ca. 11.000 im Jahr 1939. Unter dem Strich brachte der Krieg der Stadt hahezu den kompletten Zusammenbruch. Der Zweite Weltkrieg bescherte Wilhelmshaven zahlreiche Großangriffe alliierter Bomber. Vom ersten Großangriff vom Januar 1941, bis zum letzten am 30. März 1945 war der Angriff vom 15. Oktober 1944 der schwerste. Die ca. 600 Bombenflugzeuge machten durch Bomben 19.400 Menschen obdachlos. Insgesamt starben zwischen 1941 und 1945 ca. 500 Menschen infolge der Angriffe. Die Zahl ist niedrig einzustufen, da Wilhelmshaven über ein dichtes Netz von Luftschutzbunkern verfügte. Man schätzt, daß ca. 80.000 Bomben auf die Werft und das Stadtgebiet niedergingen, die über 60 % des Wohnraumes von 1939 zerstörten.

Seit 1945

Wie schon nach dem Ersten Weltkrieg stand Wilhelmshaven eine dramatische Zeit bevor. Nach ersten Plänen der Alliierten stand gar die Flutung der Stadt an. Als kanadische und polnische Truppen am 6. Mai 1945 in die Stadt einmarschierten, war der Großteil der Wohnhäuser und nahezu alle öffentlichen Gebäude zerstört. Zunächst hatte die neue Stadtverwaltung noch die Hoffnung, daß der Erhalt der Arbeitsplätze durch die Umstellung der Produktion möglich sei. Doch am 4. Januar 1946 kam die Direktive der britischen Militärbehörde, daß Marinewerft und Kriegshafen zu zerstören seien. Erst am 18. Juli 1946 erhielt die Bevölkerung Klarheit darüber, daß nicht die gesamte Stadt, sondern nur die Kriegswichtigen Einrichtungen zerstört und die Maschinen in die UdSSR verbracht werden sollten. Ende Januar 1945 waren noch ca. 14.000 Menschen auf der Werft beschäftigt. 1950 verließen die letzten 14 Werftangehörigen das Gelände. Wieder waren die Stadtväter aufgerufen, eine zivile Alternative zur Kriegsmarine zu finden, um der Bevölkerung Arbeitsplätze zu verschaffen. Dazu kam, daß die Einwohnerzahl den Vorkriegstand von knapp über 100.000 im Jahr 1948 wieder erreicht hatte.
1952 gehörten die Olympia- Werke mit 3.600, die Kammgarnspinnerei mit 800, Krupp- Ardelt mit 730, der Nordwestdeutsche Fahrzeugbau mit 720 und BAWI mit 480 Beschäftigten zu größten Arbeitgebern in Wilhelmshaven.
Durch Gründung der Bundeswehr im Jahr 1955 und der allgemeine wirtschaftliche Aufschwung der Bundesrepublik prosperierte auch Wilhelmshaven wieder. 1956 wurde der Ölhafen gegründet, von 1959 bis 1964 die IV. Hafeneinfahrt wieder aufgebaut und im Jahr 1960 waren über 20.000 Menschen in den neu angesiedelten Industrieunternehmen beschäftigt. Im Jahr 1969 feierte die Olympiawerke ihren 20.000 sten Mitarbeiter. Im Jahr 1992 mußten sie ihre Tore für immer schließen.